Ja, was eigentlich? Genau dieser Frage und noch vielen mehr geht das Buch, das ich hier vorstelle, nach. Sex ist wie Brokkoli, nur anders. Ein Aufklärungsbuch für die ganze Familie.* nimmt sich sehr viel vor, denn es ist – wie der Titel schon verrät – für Erwachsene, die mit Erwachsenen und/oder Kindern über Sexualität sprechen wollen, aber auch für Kinder und Jugendliche, für die es eigene Kapitel gibt. Außerdem gibt es ein Kapitel zum Thema Paarbeziehung. Das alles zu vereinen und den einzelnen Zielgruppen gerecht zu werden ist eine ziemliche Aufgabe! Ob dem Autor Carsten Müller, selbst als Sexualpädagogie und Sexualberater tätig, und der Autorin Sarah Siegel das gelungen ist, werde ich hier genau – und kritisch wie immer – betrachten.

Gleich beim Cover muss ich leider ein wenig kritisch sein. Ich finde es nämlich so gar nicht ansprechend und ein wenig langweilig. Die Brokkolioutfits der Figuren sind zwar süß, aber zeichnen gleich mal ein binäres Bild.

Die zweite Kritik, die ich gleich anfangs loswerden muss, ist, dass dieses Buch keine gendersensible Sprache verwendet. Das stört mich sehr und ist besonders für ein ansonsten auf Sprache und Diversität bedachtes Buch absolut nicht angebracht. Auch die Begriffe Scheide und Schamlippen sollten nochmals überdacht werden.

Nun aber zum Inhalt…

In diesem Buch erfahren die Lesenden einiges über Anatomie, sexuelle Entwicklung, Pornografie, Medien, Verhütung, Gewalt etc. Alles Themen, die für Bezugspersonen von Kindern sehr hilfreich sind und oftmals für Verwirrung und Unsicherheiten sorgen. Hier bekommen Erwachsene Basiswissen und somit mehr Sicherheit im Umgang mit dem Thema Sexuelle Bildung ihrer Kinder/Jugendlichen.

Allgemein gefällt mir der Grundtenor des Buches sehr gut. Lust wird hier als etwas Positives beschrieben, persönliche Grenzen werden als essentiell angesehen und der ganze Körper wird berücksichtigt.

In diesem Buch bekommen Eltern und Bezugspersonen einiges an Informationen und vor allem viele wertvolle Alltagstipps mit. Beispielsweise finden sie hier eine Tabelle, in der steht, ab wann Kinder welche Informationen erhalten sollten. Ich finde die Idee dieser Tabelle sehr gut, die Umsetzung aber ein wenig stressig für Eltern, die sich beispielsweise erstmals mit dem Thema Sexuelle Entwicklung beschäftigen. Außerdem ist es sehr individuell, wann welches Thema wirklich passt für ein Kind – manche Themen kommen aus meiner Sicht auch etwas spät.
Dafür sind die Tipps, wie Kinderfragen gut beantwortet werden können, sehr gelungen – nämlich: authentisch bleiben, eigenes Unwohlsein ansprechen, überlegen und im Zweifelsfall auf später verschieben (aber wirklich!).

Sehr ansprechend finde ich die vielen Praxisbeispiele sowohl aus sexualpäagogischen Workshops als auch aus der Paarberatung. Auch die Vergleiche zu Sex und Essen sind sehr gelungen, auch wenn ich nicht finde, dass Familien wahnsinnig viel über Brokkoli sprechen müssen – über Sex aber sehr wohl. Die Idee des Titels, dass Sexualität auch am Küchentisch einer Familie besprechbar sein sollte und dass das Thema so normal sein sollte wie über Brokkoli zu sprechen, finde ich prinzipiell gut.

In Bezug auf Diversität sehe ich an einigen Stellen Nachholbedarf. Zwar wird das Thema Geschlechterrollen beleuchtet, allerdings sehr klischeehaft (Mädchen gehen zum Ballett, Buben zum Fußball?). Trans* wird nur mit einem Satz erwähnt, weil es sonst den Rahmen sprengen würde, so die Autor*innen – ich persönlich hätte dann lieber das Kapitel zum Thema Paarbeziehung weggelassen, aber gut. Oder den Teil über die Wechseljahre, in dem steht, dass ab 40 Jahren bei Frauen die Brust schlaffer wird und Männer am Bauch zulegen und „jung und knackig anders“ aussehe – das hätten sich die Autor*innen im Sinne des Bodypositivity-Gedanken sparen können.
Inter* wird so erklärt, dass Inter*-Personen ein bisschen Junge und ein bisschen Mädchen sind – das ist eindeutig eine binäre Ansicht und wird mit dem Satz, sie dürfen entscheiden, ob sie als Junge, als Mädchen oder als beides leben möchten, wirklich nicht besser… Auch die Aussage zu sexueller Orientierung, dass Menschen ganz alleine bestimmen, für wen sie Gefühle entwickeln, ist sehr missverständlich geschrieben.

Auch der eher negative Blick auf das Thema Menstruation hat mich negativ überrascht. Aussagen wie die Menstruation tut im Bauch „dolle weh“, finde ich nicht angebracht. Ja, sie kann weh tun (und das soll gerne thematisiert werden), aber nicht bei allen und nicht immer. Außerdem verstehe ich nicht, wieso in diesem Kapitel das Tampon explizit nicht empfohlen wird.

Nun noch zu ein paar Punkten, die fachlich meiner Meinung nach nicht korrekt sind und die ich hier richtigstellen möchte:

  • Menschen mit Uterus sind nicht erst ab der ersten Periode fruchtbar, sondern bereits davor. Die erste Periode zeigt an, dass es etwa 10-16 Tage VORHER einen Eisprung gab.
  • Die Samenzellen veranstalten im Uterus kein Wettrennen und die Eizelle wohnt nicht im Bauch.
  • Der Satz, dass Kinder immer so entstehen, wie es gerade im Buch erklärt wurde – nämlich durch Geschlechtsverkehr – ist ebenfalls falsch.

Das war jetzt – wie meistens bei meinen Rezensionen – sehr viel Kritik. Dabei finde ich die Idee eines Buches, das für die ganze Familie gedacht ist, sehr gut. Ich finde aber, wie anfangs schon angedeutet, dass sich die Autor*innen sehr viel vorgenommen haben.

Eltern erfahren in diesem Buch wirklich viele wichtige Dinge und ich kann es für Eltern daher empfehlen, auch wenn ich durchaus einige kritische Punkte sehe. Insbesondere die Alltagstipps sind wirklich sehr hilfreich – und zwar tatsächlich für die ganze Familie, also für Kinder und Jugendliche.
Für Kinder von zwei Jahren bis Ende des Volksschulalter finde ich es jedoch nicht besonders passend. Der Inhalt selbst ist durchaus passend, aber schwarz-weiße dünne Seiten sind für diese Zielgruppe einfach nicht gut geeignet. Mal abgesehen davon, dass die Altersspanne sehr groß ist und es aus meiner Sicht daher fast unmöglich ist, sie alle in einem Kapitel gut abzuholen. Die Grafiken in diesen Kapitel sind zwar sehr gelungen und wunderbar divers, ich sehe die Kapitel für Kinder aber eher als Info für Erwachsene, die hier herausfinden, wie die Themen für Kinder aufbereitet werden können. Denn auch hier gibt es immer Hintergrundinfos für Eltern.

Das Kapitel über Beziehungen finde ich allgemein gelungen – insbesondere die verschiedenen Übungen zu Partnerschaft und Sexualität finde ich sehr schön.

Mein Fazit: Für Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen, die sich Informationen holen wollen rund um Anatomie, sexuelle Entwicklung und Co. und die Alltagstipps suchen, ist dieses Buch sehr empfehlenswert. Für Kinder finde ich es nicht sehr brauchbar. Die Kapitel für Jugendliche sind in Ordnung, ich finde aber, dass es hier ansprechendere Bücher für Jugendliche gibt.

 

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One Reply to “Was hat Sex mit Brokkoli zu tun?”

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